Ein stetiges, leises Plopp, Plopp, Plopp drang tief in ihre Gedanken. Der eiskalte Luftzug, der über ihre
Wangen strich ließ sie erschauern. Wo zum Teufel war sie? Lena öffnete die Augen und sah nur
tiefschwarze Nacht. Ihre Hände tasteten langsam über den feuchten, kalten Boden. Plopp, Plopp. Sie
setzte sich auf, blinzelte, um ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen und versuchte irgendetwas
zu erkennen. Da! Ein Stück oberhalb sah sie einen Lichtstreifen. Dort musste eine Tür sein. Vorsichtig
stand sie auf und ging auf den schwachen Lichtschimmer zu. Plopp, Plopp. Mit den Fuss‐Spitzen
ertastete sie die unterste Treppenstufe und blieb stehen. Wie war sie hierhergekommen? Krampfhaft
versuchte sie sich zu erinnern. Natürlich, Sie war mit ihrer Freundin bei einer Führung durch alte
Kellergewölbe. Das hier war bestimmt einer davon. Aber wo waren die Anderen. Und wieso war sie
alleine? Plopp, Plopp! Außer diesem stetigen Plopp hörte Lena nichts. Keine anderen Geräusche.
Keine Stimmen. Sie wollte gerade ihren Fuß auf die erste Stufe stellen, als es über ihr leise knarrte.
Lena sah hoch und der schmale Streifen Licht wurde langsam grösser. Gott sei Dank. Sie hatten Sie
gefunden. Die Tür öffnete sich langsam und das leise Knarren wurde von einem unangenehmen
Quietschen begleitet. Sie rief „ich bin …“ Dann erstarrte Sie, das „hier unten“ blieb ihr im Hals
stecken. Im Türrahmen nahm Sie eine Gestalt wahr. Diese Frau gehörte bestimmt nicht zu ihrer
Gruppe. Sie trug ein weißes, wallendes Gewand, das bis zum Boden reichte. Das aschfahle Gesicht
bildete einen ungewöhnlichen Kontrast zu den tiefschwarzen Haaren, die es umrahmten. Plopp,
Plopp. Ihre Brust schnürte sich zusammen, also die Frau langsam die Treppen nach unten kam. Die
Füsse schienen den Boden nicht zu berühren. Lena wich zurück, strauchelte und erstarrte, als sie die
Stimme der Frau hörte. „Hab keine Angst!“ Plopp, Plopp. „Ich möchte Dir etwas zeigen.“ Jetzt stand
die Frau direkt vor ihr und Lena spürte ihren eiskalten Atem, als sie weitersprach. „Komm mit mir.“
Wie in Trance folgte Sie ihr. Nur ein paar Schritte, die Lena vorkamen, als wäre sie kilometerweit
gelaufen, dann blieb die weiße Frau stehen. „Ich möchte Dir Deine Zukunft zeigen,“ hörte Lena sie
sagen. Die unheimliche Frau griff in die Falten ihres Gewands und holte eine kleine goldene Tasche
hervor, die sie öffnete und den Inhalt in die Luft warf. Nur einen Augenblick später erstrahlte der
dunkle Keller in einem gleißenden Licht. Lena sah sich um. Überall schwebte Goldstaub, der langsam
glitzernd zu Boden fiel. Plopp, Plopp. Sie entdeckte ein Rohr an der Decke aus dem es unaufhörlich
tropfte. Plopp, Plopp. „Schau!“ Die Stimme der weißen Frau ließ sie wieder zusammenzucken. Lens’s
Blick folgte dem ausgestreckten Arm. Auf den rauen Steinen der Kellerwand war ein Bild erschienen.
Es war ihr Spiegelbild. Im Hintergrund sah sie die gegenüberliegende Kellerwand, die vom Licht der
Projektion angestrahlt wurde. Es wurde kurz dunkel. Ihr Bild war von der Wand verschwunden. Ein
kleiner Kinosaal mit nur einem Zuschauer nahm nun die ganze Breite der Wand ein. „Oh Gott!“ Lena
wurde übel. Der Mann, der in dem bequemen Kinosaal saß war tot. Die starren Augen starrten Sie
direkt an. Sie begann zu taumeln. Lena kannte den Mann nicht. Was hatte er mit ihrer Zukunft zu
tun? Das Bild wechselte. Plopp, Plopp. Ein weiße Truhe … Der Deckel öffnete sich langsam, sehr
langsam. Lena’s Herz begann zu rasen und einen Augenblick später begann sie zu würgen, als sie
erkennen konnte, was in dieser Truhe lag. Der Kadaver eines Schweins. Über und über mit weißen
Maden bedeckt. Der Geruch von verwesendem Fleisch stieg ihr in die Nase und sie begann wieder zu
würgen. Sie versuchte die Augen zu schließen. Sie versuchte zur Seite zu sehen. Es funktionierte
nicht. Ihr Blick war wie gebannt auf die Wand vor ihr gerichtet. Wieder wechselte das Bild. Lena
spürte trotz der eisigen Kälte, die sie umfing Schweiß, der sich auf ihrer Stirn bildete. Plopp, Plopp.
Ein menschlicher Torso. Die Bauchdecke bewegte sich leicht bei jedem Atemzug jenes Menschen,
dessen Gesicht sie nicht sehen konnte. Ihre Zukunft. Konnte es sein, dass dieser Körper der ihre war?
Sie versuchte Merkmale zu erkennen, aber im Gegensatz zu den anderen, die sie bereits gesehen
hatte, war dieses Bild unscharf und verschwommen. Am Bildrand nahm sie ein Blitzen wahr. Die
funkelnde Spitze eines Messers. Langsam, sehr langsam kam dieses Messer dem Körper immer
näher. Lena hielt die Luft an und nahm das wilde Pochen ihres Herzens wahr. Das Messer ritzte die
seitliche Bauchdecke leicht und Blut drang aus der kleinen Wunde. Plopp, Plopp. Im nächsten
Moment drang das Messer tief in das Fleisch ein und wurde mit einem schnellen Schnitt zur Seite
gezogen. Lena wich zurück. Sie konnte nicht mehr atmen. Etwas hatte sich wie ein Schraubstock um
ihre Brust gelegt. Ihr wurde schwindelig. Der Nebel in ihrem Kopf war angenehm. Noch immer sah sie
gebannt auf die Wand, aber die Bilder waren jetzt weit weg und irreal. Zwei Hände entnahmen der
offenen Bauchhöhle Eingeweide und ließen diese in einen bereit gestellten Blecheimer fallen. Der
Nebel in ihrem Kopf wurde dichter und die Bilder entfernten sich immer mehr. Dann fiel sie. Tiefer
und tiefer. Rabenschwarze Nacht.
„Lena! Lena! … Bist Du da unten? Lena!“ Mit einem Mal wurde es hell. Eine flackernde Neonleuchte
über ihr. „Lena?“ „Ich bin hier.“ Sie sah zur Treppe. Ihre Freundin kam, zwei Stufen auf einmal
nehmend zu ihr gelaufen. „Oh mein Gott! Du warst auf einmal verschwunden. Was ist passiert? Du
bist ja weiß wie die Wand?“ Lena griff nach der Hand, die ihre Freundin ihr reichte und stand auf. Sie
war benommen und taumelte ein wenig. „Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich die Treppe
runtergefallen.“ Ihre Freundin legte einem Arm um ihre Schultern. „Aber es geht Dir doch gut, oder?“
Lena antwortete: „Ich denke schon, aber ich hatte einen krassen Traum.“ Ihre Freundin führte sie die
Treppen nach oben und bei jedem Schritt den sie gingen fiel goldener Staub aus Lena’s Haaren auf
die steinernen Treppenstufen.
